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Seit Monaten schicken die Radiostationen einen Hit über die Mauer, der sich in der DDR zur heimlichen Nationalhymne mausert:
„Sonderzug nach Pankow“.
Deutschrocker Udo Lindenberg lädt sich 1983 mit diesem Song auf schnoddrige Art selbst nach Ost-Berlin ein.
Sein Hit, eine gewollte Provokation?
Auf jeden Fall ungeliebte Aufmerksamkeit für die SED-Oberen.
Die lenken schließlich ein: Udo darf im Palast der Republik singen.
Für den Fotografen Nikolaus Becker birgt die Nachricht mehr als nur die Aussicht auf ein gutes Rockkonzert.
Ich hatte das natürlich auch als so ein bisschen Morgendämmerung gesehen.
Natürlich hat man in der DDR auch sehr genau auf Zeichen geguckt, die nach Öffnung, die nach Entspannung,
die nach einer Liberalisierung des Lebens riechen und das klang natürlich schon nach sowas.
Wenn Lindenberg jetzt schon in der DDR ein Konzert machen kann, nach so `nem frechen Lied wie Sonderzug nach Pankow auch noch,
dann scheint die Entwicklung eine gute zu sein, das war so `ne Vermutung, die man hatte.
Also, ich kann da auch singen, was ich will.
Es ist nicht so, wie manche sich das vielleicht vorstellen, dass die sagen, also bitte nur diesen Song oder jenen, ne?
Und sagen Sie das und das, so und so.
Der Lindi ist nicht kastrierbar, nein, nein, das gibt es nicht.
Ich kann da sagen und machen, was ich will.
Tatsächlich aber kann „der Lindi“ nicht alles machen, was er will.
Die DDR-Offiziellen planen ein Propagandaspektakel: „Rock für den Frieden“.
Hunderte Fans warten vor dem Palast der Republik auf ihr Idol.
Sie haben sich vergeblich um Karten für das Konzert bemüht
In der Halle sitzen fast ausschließlich ausgewählte FDJ-Kader. Das sorgt für Unmut.
Ich bin eigentlich erst relativ spät hingekommen, da war das davor schon ganz gut am Brodeln.
Also vor dem Palast waren Sicherheitskräfte, sowohl Uniformierte als auch Nichtuniformierte, und auf der anderen Seite waren ne Menge Fans
und dazwischen gab´s dann so Metallzäune, die zum Teil gar nicht mehr den Fußboden berührten,
weil an der einen Hälfte zogen die Fans, an der anderen die Vopos, und da war schon ganz gut Action.
Während Udo Lindenberg vor das handverlesene Publikum tritt, beginnen draußen Festnahmen.
Auch Nikolaus Becker wird verhaftet.
Der Panikrocker bekommt von alldem nichts mit.
„Ich habe gesehen, wie direkt neben mir Leute brutal zusammengeknüppelt wurden, nur weil sie gesprochen hatten.
wie Leute sich mit erhobenen Armen an die Wand stellen mussten, sehr lange, und wenn man das mal versucht hat, weiß man,
nach ein paar Minuten verlässt einen die Kraft, man schafft´s nicht, die Arme `ne Stunde lang oben zuhalten, irgendwann sinken die,
sofort gab´s einen Knüppel ins Kreuz oder auf den Kopf, je nachdem, und irgendwann haben es Leute dann auch nicht mehr geschafft,
einfach stehenzubleiben und wurden dann von Polizisten zusammengeknüppelt, bis sie sich nicht mehr gerührt haben.
Brutale Misshandlungen statt Liberalisierung:
Seinen Hit „Sonderzug nach Pankow“ singt Lindenberg an diesem Abend nicht.
Stattdessen leistet er einen Subbotnik für den Weltfrieden mit zeitgemäßer Antikriegslyrik.